Wien - Ideologisch gesprochen ist es recht simpel: Prostitution ist per se Gewalt an der Frau. Nur ein Verbot kann Frauenhandel und Ausbeutung stoppen. Wer für Sex bezahlt, muss dafür bestraft werden. Dann sinkt auch die Nachfrage. Oder, so lautet die andere Sichtweise: Alle Frauen in der Sexarbeit arbeiten selbstbestimmt und glücklich. Es ist ein Job wie jeder andere und darf daher nicht streng reguliert werden.

So etwa lauten die Positionen von erklärten Feministinnen, Bordellbetreibern und einzelnen Politikern in Europa. Die Welt ist in dieser umstrittenen Frage eine schwarz-weiße.

Der Ursprung dieser Grundsatzdiskussion liegt in Schweden, wo Freier seit 1999 bestraft werden. Feministische Thinktanks und politische Bewegungen investieren viel Geld und Ressourcen, den Verbotsgedanken in Europa zu verbreiten. Mit Erfolg: Im Februar verabschiedete eine Mehrheit des Frauenausschusses im Europaparlament eine entsprechende Resolution - nicht bindend, aber richtungsweisend.

Diskussion in Frankreich und Deutschland

In vielen Ländern, darunter Deutschland und Frankreich, wird in diese Richtung diskutiert.

Umso überraschender ist das Positionspapier der Arbeitsgruppe "Länderkompetenzen Prostitution" (AG LKP) aus Österreich, das dem STANDARD vorliegt: Angebot und Nachfrage würden durch ein Verbot nicht verschwinden. Vielmehr würde das Rotlichtgeschäft in der Folge in den Untergrund abwandern, wo dann der Schutz der Frauen kaum mehr gewährleistet werden könne.

Ein Verbot, so der Tenor, verstärke die Stigmatisierung und würde nichts an den wahren Gründen für Prostitution - Armut - verbessern.

Das Gremium, bestehend aus 30 Experten der Polizei, Beratungsstellen, Frauen- und Rechtsabteilungen, der Kinder- und Jugendanwaltschaft, dem Wissenschafts- und Gesundheitsbereich, untersteht dem Frauenministerium. Warum folgt Österreich nicht den Argumenten Schwedens?

Zweifel an Zahlen

"Die Zahlen, mit denen die Anhänger der schwedischen Bewegung für ein Verbot werben, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage", erklärt Marie-Theres Pranter, die Leiterin der Arbeitsgruppe. In vielen Berichten ist etwa die Rede davon, dass 85 Prozent der Prostituierten missbraucht wurden oder dass die Zahl der Freier seit dem Verbot stark zurückgegangen sei.

Wie diese Zahlen zustande kommen, weiß eigentlich niemand. Sie werden weitgehend unkritisch übernommen. "Uns kommt die sachliche Grundlage abhanden, die Diskussion wird von Moralvorstellungen geleitet", sagt Prantner. Eine Regulierung von Prostitution sei eher dazu geeignet, Menschenhandel und Ausbeutung zu bekämpfen, ist die einhellige Meinung der Arbeitsgruppe.

Das "Killerargument"

Dass sexuelle Dienstleitung per se Gewalt an Frauen darstelle, sei das Killerargument schwedische Politiker, die kaum eine Debatte darüber zulassen. "Von einem feministischen Standpunkt aus ist es leicht, sich für ein Verbot auszusprechen und sich damit gut zu fühlen. Den Sexarbeiterinnen hilft aber kein Wunschdenken, sondern sie brauchen Angebote, wie sie finanziell überleben können - und die sind in einem Verbot nicht enthalten."

Christine Nagl von der Salzburger Beratungsstelle Pia sitzt ebenfalls in der Arbeitsgruppe und bekräftigt die Entscheidung der Arbeitsgruppe. "Die Frauen immer als Opfer darzustellen ist ein Hohn. Wir sollten über die prekären Lebenswelten von Alleinerzieherinnen, Geschiedenen und Pensionisten sprechen - über Armut. Das ist der Grund, warum die meisten Frauen in der Sexarbeit tätig sind. Ein Verbot überlagert die wesentlichen Probleme, mit denen sich die Politik nicht beschäftigen will."

Ein Prostitutionsverbot würde nur die Stigmatisierung verstärken und nichts an den wahren Gründen für Prostitution verbessern, wird in dem Positionspapier der Arbeitsgruppe betont. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 1.12.2014)